Laizismus in Frankreich

Der Islam in Frankreich oder ein französischer Islam?!

Frankreich ist, wie auch die anderen westeuropäischen Staaten, seit Jahrzehnten ein
Einwanderungsland. Diese Entwicklung ist die Folge der Kolonialgeschichte, der
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes sowie der nicht gelösten Krisen in Afrika und in den
arabischen Staaten. Sowohl das Gros der Arbeitsmigranten als auch der Flüchtlinge in
Frankreich kommen aus unterschiedlichen islamischen Kulturen, aus Nordafrika, dem
Vorderen Orient, aus der Türkei sowie aus Westafrika. Ins Auge fallen dabei die Unterschiede
der islamischen Kulturen. Hinzu kommt der islamische Terrorismus, der in den letzten Jahren
auch in Frankreich seine zerstörerische Kraft gezeigt hat. Andererseits stellen die Franzosen
fest, dass unter den geschätzten über fünf Millionen Muslimen die Gruppe derer immer
stärker wird, die sich vom Islam verabschiedet oder zumindest von islamischen Traditionen
entfernt haben. Sie erleben sie als säkulare französische Mitbürger in Politik, Wissenschaft
und Wirtschaft.

Im Gegensatz zum angelsächsischen „Multikulturalismus“ fördert Frankreich eine Politik der
Assimilation. Der Assimilationsdruck ist allerdings keine Erfindung der Gegenwart, sondern
gehört zur Französischen Republik und wird seit der Französischen Revolution kultiviert. Alle
Menschen, die in Frankreich geboren werden, sind in ihren Bürgerrechten gleich, privat
können sie nach ihren eigenen religiösen oder philosophischen Überzeugungen leben.
Frankreich will eine Nationalkultur in einer laizistischen Republik. Laizismus ist eine
weltanschauliche Richtung, die die radikale Trennung von Kirche und Staat fordert. Deshalb
herrscht in Frankreich schon lange das Kopftuchverbot nicht nur für Lehrer*innen, sondern
auch für Schüler*innen an französischen Schulen. Im ersten Artikel der Verfassung wird „die
Gewissensfreiheit (…) und die Kultfreiheit garantiert“. Der zweite Artikel sagt, dass „die
Republik keinen Kult anerkennt, ihn weder finanziert noch subventioniert“. So erklärte
Macron in einem Interview: „Ich werde nie von irgendeinem französischen Bürger verlangen,
in seiner Religionsausübung moderat zu sein oder nur gemäßigt an Gott zu glauben. Das hätte
nicht viel Sinn. Doch ich werde jeden ständig auffordern, alle Regeln der Republik absolut zu
respektieren“.

Bereits Napoleon kannte eine vergleichbare Situation. Für die katholische Kirche war es kein
Problem, der Bischof war der Repräsentant. Die verschiedenen protestantischen Kirchen
schlossen sich zu einer Föderation zusammen. Die Juden, ähnlich wie die Muslime, waren in
eine Vielzahl von Synagogen und Bewegungen aufgespalten. Da sich die unterschiedlichen
jüdischen Bewegungen nicht einigen konnten, schuf Napoleon autoritär das jüdische
Konsistorium mit einem Großrabbiner an der Spitze. Wollten jüdische Bewegungen in
Kontakt mit staatlichen Institutionen treten, mussten sie Mitglieder des Konsistoriums sein.
Seit über dreißig Jahren arbeiten die Präsidenten und Innenminister der Französischen
Republik vor diesem Hintergrund daran, dem Islam in Frankreich eine Struktur zu geben.
Heute würde jedoch der Europäische Gerichtshof den Staat daran hindern, wie Napoleon zu
intervenieren. Der Staat kann nur als Moderator auftreten.

Beim Integrationsprozess der Muslime und des Islam werden von der Politik vorrangig drei
Problemfelder genannt: die repräsentative Vertretung, die Ausbildung der Imame sowie die
Finanzierung des Islam beziehungsweise der islamischen Organisationen.

Seit 2003 ist die offizielle Vertretung des Islam der „Conseil Français du Culte Musulman“
(CFCM). Der CFCM wurde auf Initiative des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy
gegründet, doch gibt es um die Führung und Leitung immer wieder Streit.
Auf islamischer Seite ergriff die „Große Moschee von Paris“ (GMP) 1994 die Initiative und
schuf ein Institut mit Blick auf die Ausbildung der Imame. Auch die Große Moschee von
Paris ist eine Erbschaft der Kolonialzeit. Sie wurde von der französischen Regierung nach
dem Ersten Weltkrieg gebaut, als Dank an nordafrikanische Soldaten, die für Frankreich
gekämpft haben. Nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 blieb die Verwaltung der Großen
Moschee von Paris in der Verantwortung des algerischen Staates, der auch den Imam ernennt
und abberuft. Der Bau der Moschee widerspricht somit dem Laizitätsgesetz. Es gibt
Ausnahmen.

Bereits 2000 wurde die Ausbildung der Imane wegen finanzieller Engpässe jedoch wieder
eingestellt. Das „Institut Catholique de Paris“ bietet inzwischen immerhin einen
Ausbildungsgang für Imame an, damit sie sich ein Grundwissen an französischer Kultur,
inklusive des Laizismus, aneignen können.

Das dritte Problem sowohl für die Muslime selbst als auch für den Staat ist die Finanzierung
des Islams. Der französische Staat möchte den finanziellen Einfluss arabischer Staaten
reduzieren, wenn nicht gleich ganz verbieten. Die unabhängigen Muslime sind überzeugt,
dass dieser Einfluss die Entwicklung sowohl „eines französischen Islam“ als auch „eines
Islam in Frankreich“ blockiert. Ferner würden diese Staaten und Organisationen auch die
Anstrengungen untergraben, den Islam mit der Moderne zu versöhnen.

Für die Finanzierung des Islam in einer Diasporasituation fehlt es an einem Modell. Das
Gesetz von 1905 verbietet dem Staat, religiöse Gemeinschaften zu finanzieren. Präsident
Macron betont in einem Interview, dass das Gesetz „Teil eines Schatzes“ sei.Um zu
verhindern, dass die französischen Steuerzahler in Zukunft womöglich für die
Religionsausübung von Muslimen zahlen müssen, wird über die Einführung einer „Halāl-
Steuer“ nachgedacht. Die islamischen Speisevorschriften schreiben dem Muslim vor, was er
essen darf und was nicht. Beispielsweise darf er nur Fleisch von Tieren konsumieren, die nach
bestimmten Regeln geschlachtet worden sind und damit erlaubte (halāl) Speisen werden. Das
führte dazu, dass sich ein „Halāl-Handel“ im Lebensmittelbereich entwickelt hat, der sich
durch die Globalisierung internationalisiert hat. Die Idee: Diese „Halāl-Produkte“ sollen mit
Steuern belastet werden, und mit diesen Einnahmen soll der Islam in Frankreich finanziert
werden. Das Problem des Einzugs dieser Steuer wurde allerdings bisher nicht gelöst. Soll das
Finanzministerium diese Steuer einbeziehen, oder sollen die Muslime für die Pflichtabgabe
ein Institut aufbauen? Das erste Modell ist von der Kirchensteuer in Deutschland inspiriert,
das zweite vom österreichischen, wo die Kirchen selbst für den Einzug der Kirchensteuer
zuständig sind. In beiden Fällen würde die Verwaltung des Halāl-Handels kompliziert.
Es ist deshalb verständlich, dass die Reaktionen darauf negativ sind. Nach einer Umfrage
lehnen 70 Prozent der Muslime in Frankreich diese Steuer ab.

Politiker in Frankreich sind seit Jahren bemüht, das Gesetz der Trennung von Kirche und
Staat den neuen religiösen Gegebenheiten anzupassen. Das ist das Recht und die Pflicht der
Politiker sowie des Präsidenten. Allerdings müssen die Muslime in Frankreich selbst
klarstellen, wie der islamische Glaube als nicht unterdrückte islamische Minderheit in einer
pluralistischen europäischen Gesellschaft gelebt werden kann.